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  Critics cleines Blog - wie die amerikanische Axt im Waldi
So circa einmal im Jahrzehnt gibt es einen Film, der die Leidenschaft fürs Kino in einer ganzen Generation erneut entfacht. Für die jetzigen Filmliebhaber dürfte das Tarantinos Kill Bill gewesen sein. Bildästhetisch und erzählökonomisch auf der Höhe der Zeit, ist das Werk neben einer Liebeserklärung an die Macht des Kinos gleichzeitig ein unvollständiger filmhistorischer Abriß über Stile, Genres und Motive, ohne dabei in simples Kopieren zu verfallen. Nicht zufällig trägt der nahezu lexikalisch anmutende und dennoch warmherzig geschriebene Beitrag von Ralf Hess über die Referenzen in Kill Bill den Titel Der sanfte Plünderer.

Nahezu kein Review kam seinerzeit darum herum zu erwähnen, daß das Grundschema von dem fabelhaften Shurayukihime (Lady Snowblood) entlehnt war. Ein verdienter zweiter Frühling für Toshiya Fujitas Film, aber leider fiel dabei ein anderer Stichwortgeber Tarantinos meist unter den Tisch – François Truffauts La mariée était en noir (Die Braut trug schwarz). Dabei sind die Parallelen überdeutlich. Die Braut als Witwe. Fünf Personen. Eine Todesliste, die es Punkt für Punkt abzuhaken gilt, um die Rachegelüste zu befrieden. Fünf Männer, um genau zu sein, die in fünf getrennten Kapiteln von der Göttin der Jagd, verkörpert durch die stoische Schönheit Jeanne Moreau, erlegt werden. Selbst die von Tarantino auf die Spitze getriebene Künstlichkeit seines filmischen Universums findet sich in gewissem Sinne bereits in Truffauts Film. Der Schauplatz der Bluttaten wirkt wie eine Scheinwelt, die entfernte Ähnlichkeit mit Frankreich hat. Bewirkt wird diese Entfremdung durch die emotionslose Maschine, die einst die Braut Julie Kohler war. Sie, die Regeln der realen Welt vergessend, arbeitet nur noch schlafwandlerisch ihren Racheplan ab.

Die Tötungen werden in fünf Kapiteln zelebriert, in denen nach und nach die Geschichte der Braut sich dem Zuschauer offenbart. Diese fünf Abschnitte sind klar von einander abgegrenzt durch die Bewegung der Braut von einem Ort zum nächsten. Der Score von Bernard Herrmann unterstreicht deren Verschiedenartigkeit mit disparaten Leitmotiven, über die sich immer quälender werdend der Hochzeitsmarsch von Mendelssohn Bartholdy legt. Dieser Kapiteltrennung entspricht auch der Rollenwechsel, welchem die Braut im Laufe des Films unterliegt. Geheimnisvolle Verführerin, Traumfrau, Mutter-Huren-Komplex, Muse und abgebrühte Zuchthäuslerin – was immer es braucht, um an die Männer heranzukommen, die Braut füllt die Leerstellen im Denken ihrer zukünftigen Opfer.

Doch Truffaut gibt sich nicht damit zufrieden, fünf kleine Hitchcock-Vignetten abzuliefern, sondern er verbindet sie zu einer großen Erzählung über den dramatischen Abstieg in die Hölle der Rachsucht. Wie später von Tarantino in der Transition von Bride über Beatrix Kiddo zu Mommy entschieden hoffnungsfroher adaptiert, durchläuft auch Julie Kohler eine Entwicklung. Anfänglich mysteriöser Racheengel, körperlos wie nicht von dieser Welt, gewinnt sie in der Filmhandlung mehr und mehr menschliche Züge. Hier manipuliert Truffaut, darin seinem Nestor Hitchcock ähnlich, den Zuschauer mit erschreckender Präzision, indem er Aschluß an dessen Erwartungshaltung findet. Die unausrottbare Hoffnung, durch Leid oder Liebe zu einem edleren Menschen gewandelt zu werden, wird in Die Braut trug schwarz aufs Fieseste vorgeführt, wenn der unausweichliche Niedergang Julies vermeintlich zu einem Stillstand kommt. Wunderschön ist dieses retardierende Moment in das Kleid Julies eingewebt. Julie, die in der ersten Szene an der Seite ihrer weißgewandeten Nichte in einem schwarzen Kleid auftaucht, wird stets in einer dieser beiden Unfarben zu sehen sein. Jedoch im Atelier, als eines der Opfer ihr die Liebe gesteht, streift sie ein Kleid über, das Schwarz und Weiß ineinander verzahnt. Der Keim des Happy Ends wird durch den Schnitt ins eigene Gesicht, so er auch nur auf der Malerleinwand erfolgt, erstickt. Der Abstieg in das Purgatorium des Gefängnisses kann beginnen.

Die größte Leistung Truffauts neben den geschickt inszenierten Spannungsbögen und all den klug dosierten Schockmomenten liegt in der hypnotischen Verführungskraft von La mariée était en noir. Denn spätestens in der Mitte des Filmes müsste unsere Sympathie, die dem weiblichen Opfer gegolten hat, versiegen und dem blanken Entsetzen über ihre Taten Platz machen. Stattdessen ist die Identifikation mit Julie schon so weit vorangeschritten, daß wir ihr noch bewundernd zusehen, wenn sie die Hoffnung auf Erlösung aus der Isolation des Rachegedankens mit einem Blattschuß erlegt. Truffaut zeigt uns unsere moralische Manipulierbarkeit mit den Mitteln des Filmes. Wir Zuschauer folgen dem Filmemacher, so er sein Handwerk beherrscht, bis in die psychopathische Einöde und fühlen uns auch noch gut dabei. Mal ehrlich – ist im Gegensatz dazu die Einbindung des Zuschauers bei Kill Bill oder Lady Snowblood nicht eine Aufgabe für Filmstudenten im ersten Semester?

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