Stoppt die Vorratsdatenspeicherung! Jetzt klicken &handeln! Willst du auch an der Aktion teilnehmen? Hier findest du alle relevanten Infos
und Materialien:
  Critics cleines Blog - wie die amerikanische Axt im Waldi
Die Veröffentlichung von The Round-Up (Szegénylegények) ist es mir wert, auf das hervorragende britische DVD-Label Second Run hinzuweisen. Das Programm dieses 2005 gegründeten Unternehmens setzt sich schwerpunktmäßig zusammen aus vergessenen Meilensteinen des osteuropäischem Kinos, amerikanischen Independentproduktionen und dem Filmpendant zur Weltmusik. Die Leute, die nebenbei auch für die Aufführung ihrer Filme im Kino sorgen und sich dort im Foyer die Beine in den Bauch stehen, sind nicht nur Enthusiasten, sondern verstehen auch ihr Handwerk. Anamorphe Kodierung im Originalbildformat, Restaurierung kurz unterhalb des Standards der Veröffentlichungen von Transit und Originalsprache mit Untertiteln – was könnte den Filmfreund mehr erfreuen?

Die Filmauswahl natürlich. Der eingangs erwähnte Szegénylegények beispielsweise ist eine großartige Erzählung aus der Zeit des ungarischen Freiheitskampfes gegen die österreichische Fremdherrschaft. In langen Einstellungen werden uns die in ein Gefängnis zusammengetriebenen Aufständischen präsentiert, ohne daß recht klar wird, wer hier Gut und Böse ist. Miklós Jancsó gelingt es durch die Vermeidung eines Identifikationsangebotes aus dem Ereignis eine Parabel über den Einzug der Moderne zu machen und deren dehumanisierende Mechanismen offenzulegen. Erschreckend, wie aktuell der Film von 1966 angesichts von Abu Ghraib und Guantanamo ist.
Oder nehmen wir The cremator (Spalovac mrtvol); einer der besten Kommentare zur Psychologie des Faschismus, den ich je als Film gesehen habe. Das vergessene Aushängeschild der tschechoslowakischen Nouvelle vague besticht nicht nur durch eine überzeugende Charakterisierung des Mitläufertums, sondern verweist auch mit kommentierender Bildgestaltung, szenischer Desorientiertheit als Zeichen der geistigen Verwirrung und einer musikalischen Untermalung, die das Grauen in säuselnder Süßlichkeit entdeckt, nahezu alle Dramen zur Nazizeit auf die Plätze. Allein die Gestaltung Prags als Nekropole ohne Zukunft mit dem Tempel des Todes als zentraler Stätte ist atemberaubend aufregend.
Auch Polen ist würdig mit Matka Joanna od aniolów vertreten. Mutter Johanna von den Engeln, so der deutsche Verleih- titel, basiert auf realen Gescheh- nissen im 17. Jahrhundert. Es wird die vermeintliche Besessenheit eines Nonnenklosters gezeigt, wobei unklar bleibt, ob die Frauen nicht versuchen, sich dadurch der männlichen Verfügungsgewalt zu entziehen. Als ein Priester eintrifft, um Luzifer Einhalt zu gebieten, wird alles nur noch schlimmer. Ein missing link zwischen Dreyer und Nunploitation, den Exorzisten vorwegnehmend, voller unvergesslicher Bilder wie jenes, in denen die Nonnen wie kleine Stukas auf den Altar zuzufliegen scheinen.

Diese unbekannten Perlen, gerade in Deutschland ist Osteuropa immer noch ein blinder Fleck, sind nun alle auch für den heimischen Genuß aufgearbeitet und harren der (Wieder-) Entdeckung. Und da ist noch so viel mehr, das der Erkundung wert ist.

Kommentieren