am Montag, 18. August 2008, 17:44 im Topic 'Schattenlichter'
Schwarze und weiße Punkte tanzen in mattem Licht über den Bildschirm. Zwei Schritte rechts, ein Schritt nach links, halbe Drehung, Auslöschung. Es könnten die Schritte eines israelischen Punks in den Achtziger Jahren zu PILs This is not a love song sein. Oder die letzten Zuckungen eines von Kugeln durchsiebten Körpers. Im Moment aber nur die zufälligen Bewegungen in einem Fernseher, die sich in den Augen der Frau widerspiegeln. Sie jedoch sieht weder Schwarz noch Weiß, sondern nur Grau. Das schmutzige Grau der Straße, auf der sich ein Flüchtlingstreck bewegt. Müde Beine schlurfen über den Boden, den Staub aufwirbelnd. Der Hunger hat sich im Gedärm eingenistet und schon die Muskeln bis auf die Knochen abgenagt. Zuviel nahm er manch jungem Wesen, das am Wegesrand den Bäumen nun als Dünger dient. Doch weiter schleppt sich unter fader Sonne der Zug. Eine Bewegung fährt durch ihn wie Wind durch ein Getreidefeld. Zwei Schritte rechts, ein Schritt nach links, halbe Drehung. Die zufälligen Bewegungen ersterben auf nacktem Acker. Stumm umringt die Gruppe ein totes Pferd. Seine steifen Beine ragen wie Wegweiser in den Himmel. Fliegen waren schon vor den Menschen da. Viel früher, wie die Maden beweisen.
Hunde. Das erste, was man in Ari Folmans Film Waltz with Bashir sieht, sind Hunde. Eine Meute, auf wilder Hatz durch die Stadt, alles niederrennend. Ein Traum nur. Ein Alptraum eher. Denn die 26 Hunde sind tot. Getötet im Libanon vom Israeli Boaz Buskila, der seinen Freund Folman nach dessen Kriegserinnerungen befragt. Seltsamerweise weiß Folman nahezu nichts mehr über die damalige Zeit, obwohl er an der Besetzung Süd-Libanons und der Unterstützung der libanesischen Phalangisten in Sabra und Shatila beteiligt war. Er nimmt uns Zuschauer deshalb mit auf die rote Backsteinstraße der Erinnerung, trifft alte Freunde, ehemalige Soldaten seiner Einheit und damalige Kriegskorrespondenten. Stück für Stück reißt er die Mauer des Vergessens ein, die ihn und seine Landsleute zwar vor der bitteren Wahrheit schützt, aber sie auch zu Symptomträgern des kollektiven Vergessens werden lässt.
Das Vorgehen des Filmes ist leichterhand als Gesprächstherapie abzustrafen. Man träfe damit sicherlich ins Schwarze. Andererseits aber auch nicht, da im Film das soziopsychologische Problem verhandelt wird, welche Narben das Militär in den jungen Seelen hinterlässt. Dies ist eine der Perfidien des Krieges – die grauenhaften Geschehnisse werden denjenigen ins Gedächtnis gebrannt, die sich besonders schlecht dagegen abgrenzen können. Häufig unfähig, ihre Schuld- und Ohnmachtsgefühle zu artikulieren, kranken sie an den Erlebnissen und tragen die unterdrückten Erinnerungen in die nächste Generation, wo sie in neuen Gewalttätigkeiten Ausdruck finden. Ein fataler Kreislauf, den man gerade im Konflikt Israel - Palästinenser durchbrechen muss. Das heroische Abfeiern der Freilassung von Samir Qantar sind erneute Mahnung, dass Schweigen und Vergessen das Gegenteil von Zukunft sind.
Die Messer zusammenklappend, setzen sich die Menschen wieder in Bewegung. Zwei Schritte vor, halbe Drehung der Sonne nach rechts. Sie berührt am Horizont das jetzt noch kahlere Feld. Ausgelöscht das beißende Gefühl im Bauch. Das Grollen kommt nur noch von fernen Einschlägen, die Kanonenblitze gleichen einem Wetterleuchten. Wild winden sich schwarze und weiße Punkte auf dem Auge der Frau. Zwei Schritte rechts, ein Schritt nach links, Auslöschung auf der schwarzen Pupille in der Mitte. Kein Bild des Pferdekadavers dort.
Die Kontinente des Todes und des Lebens trennt ein unüberwindbarer Graben. Manchmal sind wir gezwungen in diesen Abgrund zu schauen. Dann umfängt der Abgrund uns und lässt uns nie wieder los.