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  Critics cleines Blog - wie die amerikanische Axt im Waldi
Ach ja. Was hyperventilierten die deutschen Politiker, als anläßlich der gefälschten Wahlen im Iran eine Web 2.0 Bewegung befähigt war, trotz staatlicher Gewalt die Massen via Facebook, Blogs und Youtube zu mobilisieren. Von einer ganz neuen Politikkultur wurde da gefaselt und von der wahren demokratischen Bewegung, die dem bösen Wolf Diktator die Suppe versalzt.

Schon damals waren die Bruchlinien dieser symbolischen Politik sichtbar; jetzt, aus der Entfernung betrachtet, sind sie es erst recht. Da ist zum einen das vollkommene Desinteresse an den Iranern. Ein iranischer Bekannter beklagte sich sehr, daß die westeuropäischen Regierungen für die guten Wirtschaftsbeziehungen die Demonstran- ten haben hängen lassen. BDI und DIHK stemmen sich seit Jahren gegen ein Embargo und wer auch nur ein bißchen die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte verfolgt hat, der weiß, wer im großen Wirtschafts- und Politikspiel das Primat hat. Kein Wunder, daß man auf EU-Politiker im Iran nicht gut zu sprechen ist.

Aber auch die Freude über Web-Partizipation hält sich bei deutschen Politikern in Grenzen. In den Grenzen des Irans oder Chinas, beispielsweise. In Deutschlands selbst sieht man derlei Sperenzchen nicht so gerne. Wegen 80 Millionen potentieller bombenlegender raubkopierender Kinderficker muss im Internet am besten alles mitstenographiert und auf Unbedenklichkeit hin durchgelesen werden. Ist auch vollkommen berechtigt. Die meisten sexuellen Übergriffe finden nicht mehr im familiären Umfeld statt, die Unterhaltungsindustrie hat ein exquisites Video-On-Demand-System aufgebaut, das aber trotzdem keiner nutzt, und jeden Tag werden in Deutschland Dutzende Terroranschläge verübt. Da muss man schon mal Abstriche am Grundgesetz machen und schließlich weiß der Staat am besten, was gut für seine Bürger ist. Wie man an den qualifizierten Äußerungen des Herrn Schäuble und der Frau von der Leyen zum Thema neue Medien sehen kann.

Weil der Staat sich aber nicht um alles selbst kümmern kann, muss er die Bürger befähigen, manches selbst in die Hand zu nehmen. Nein, nicht der NPD-Mob ist gemeint. Der schadet unserer Außenhandelsbilanz. Ich rede natürlich von außergerichtlichen Streitbeilegungen, vulgo Abmahnungen. Wobei in diesem speziellen Fall das "selbst" eher die Hände von Anwälten sind, was dann auch wiederum nahelegt, wer gewöhnlicherweise Abmahnungen verschickt. Und natürlich auch, wer sie bekommt. Das Problem ist nicht neu, schon anno 2005 versicherte es mir aus dem Hause Zypries, daß man ganz doll daran interessiert sei, das Abmahnunwesen in den Griff zu bekommen. Was ungefähr das gleiche wie die wackeldackelartigen Solidaritätsbekundungen mit den iranischen Demonstranten bedeutete.

Doch zurück zu den Abmahnungen. Üblicherweise hört man gerne das Argument, dies sei doch eine feine Sache, um mit Banalitäten nicht die Gerichte zu überschwemmen, und wenn der Vorwurf ungerechtfertigt sei, dann prozessiere man eben. Nun würde ich gerne mal das Gesicht dieser Web1.0 Menschen sehen, wenn sie an einer roten Ampel mit ihrem Auto halten, es an die Fensterscheibe klopft, sie selbige runterlassen und es ihnen entgegentönt: "Guten Tag! Ich bin Rechtsanwalt Meyer. Sie telefonierten beim Fahren mit ihrem Handy. Das macht 40 Euro und einen Punkt in Flensburg. Außerdem muss ich ihnen eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 140 Euro für meine Aufwendungen berechnen. Möchten Sie bar oder mit Karte zahlen?"
Natürlich könnten diejenigen dann vor Gericht ziehen. Was sie aber vielleicht nicht tun werden, wenn sie sich die Prozeßkosten- abrechnung von Jens Weinreich anschauen. Und der Mann hat den Prozeß in diversen Instanzen gewonnen! Letztlich wird durch diese Praxis faktisch ein Recht des Geldes festgeschrieben. Wem hilft es, daß dies keine neue Erkenntnis ist?

Eine mir bis dato unbekannte Eskalationsstufe ist es aber, daß man Abmahnungen benutzen kann, um unangenehme Wahrheiten zu unterdrücken. Aktueller Anlaß: Spreeblick contra Primacall (Sympathiewichtung) beziehungsweise Primacall contra Spreeblick (Kausalitätswichtung). Spreeblick hatte 2007 ein Interview mit einem Call Center Agent geführt (Merke: Die Berufsbezeichnung ist die Portiersuniform der Postmoderne!). Logischerweise gefiel es Primacall nicht, was da über die Struktur der Kundenaquisition bekannt wurde. Man bat Spreeblick (with a little help of their friends), den Artikel zu löschen; diese nahmen aber nur die inkriminierten Stellen heraus. Was eigentlich schon Entgegenkommen genug ist, da es sich nicht um Meinungsäußerungen, sondern um Tatsachenwiedergaben des interviewten Call Center Agents handelte.
Vermutlich wäre der Artikel danach wie alles im Internet in Vergessenheit geraten. Nun hat aber Primacall Klage gegen Spreeblick eingereicht. Einen Tag nach dem Debakel um Jako vs. Trainer Baade. Der Hegelsche Weltgeist beweist mal wieder ausnehmend Sinn für Humor.

Denn unabhängig davon, wie sich Spreeblick entscheidet – gerichtliches Verfahren oder Entfernung des Artikels, und ich drücke ihnen die Daumen, daß sie heil aus der Sache rauskommen – jetzt wird sich jedermann natürlich nur noch für die Originalvariante des Interviews interessieren. Die findet man bei einfacher Googlesuche als Wikileaks oder im web.archive.org. Wie singt David Bowie so schön? Putting out fire with gasoline. Tja, hätten die Firmenstrategen von Primacall mal die iranischen Blogger befragt, ob ihr Vorgehen sinnvoll ist.
Oder eben Barbra.

Update:Prima gelaufen, Primacall! Jetzt steht der Artikel von Spreeblick in der Googlesuche dank der vielen Verlinkungen auf Platz 2 und jener Artikel von Mein Parteibuch Blog auf Platz 4.

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