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  Critics cleines Blog - wie die amerikanische Axt im Waldi
Mitte der Achtziger sind mir die ersten Fanzines in die Hände gefallen. Roh zusammenkopierte Punkposen, im Stil der Dead Kennedys Collagen. Schwarzweiße verwischte Bilder, Erpresserschriftsatz, die ganze Palette. Wow, dachte ich, nun ist das Informationsmonopol durchbrochen, man kann so viele Menschen damit erreichen, die vorher nie an einer Umwälzung der politischen Landschaft interessiert waren. Jetzt kann die Revolution endlich losgehen!
So etwas Ähnliches muss sich auch mspr0 bei seinem Artikel gedacht haben, in dem er seine piratesken Hoffnungen beschreibt. Erst die Welle der Euphorie, weil sich eine soziale Netzbewegung formierte, dann die Ernüchterung, weil die politischen Inhalte nicht ausformuliert wurden, und schlussendlich die Rationalisierung, dies sei schon alles gut so, das Wichtigste sei die Informationsfreiheit, wen interessieren da schon noch die inhärenten politischen Werte.

Dies ist natürlich erst mal eine richtige Beschreibung der Situation und wenn man mich fragen würde: Ich halte den Kampf um Netzneutralität und gegen Zensurbestrebungen eingedenk paranoid-hysterischer Vorstöße der von den Schäubleyens für richtig und notwendig. Insofern unterstütze ich den politischen Druck, den die Piraten auf das Parteiensystem ausüben.
Andererseits bedeutet zensurfreie Netzneutralität nicht Inhalts- neutralität. Zur Zeit propagieren die Piraten eine Art Neo-Luddismus 2.0, reversed mode. Huldigt der Dampfmaschine und dann werden sich die gesellschaftlichen Problem schon irgendwie regeln. Wie, darauf kann man jetzt schon ohne größere Gefahren wetten. Bereits in den Achtziger Jahren konnte keine mediale Hegemonie mit selbstgebastelten Zeitungen errungen werden, selbst die gemeinschaftliche Anstrengung einer TAZ-Gründung hat heute nur marginale Auswirkungen im Medienbetrieb. Mit sinkendem Einfluß von Print- und TV-Medien wird sich die Aktivität der lohnabhängigen Bewußtseinsproduzenten ins Internet verschieben. Dann werden die Politblogger immer noch im Netz schreiben (so sie nicht von einer Redaktion abgeworben worden sind), aber es werden eher weniger Leute als mehr ihre Texte mitlesen, weil man inmitten von bild.de und T-Online-Portal, Google und youporn ihre kritischen Anmerkungen nicht mehr findet. Schon heute dürfte die Aufmerksamkeit der meisten Netzuser maßgeblich von ihren Online-Anbieterportalen auf entsprechende Konsumentenseiten gesteuert sein.

pirate Pictures, Images and Photos
Photobucket Direktpirat

Im Gegensatz zu beispielsweise f!xmbr, der die vermeintliche Wertefreiheit der Piraten explizit angreift, umarmt mspr0 trotz seiner enttäuschten Hoffnungen die technokratische Zentrierung der Piraten. Um die angebliche Wertefreiheit der Piraten zu legitimieren, bedient er sich der digitalen Technikmetapher und flüchtet sich in einen Antagonismus aus Kontrolle und Informationsfreiheit. Diese Zuspitzung ist durch nichts gedeckt. Die potentielle Zugänglichkeit zur Information bedeutet nicht, daß auch nach ihr gesucht würde (Wieviele Rednecks sind erpicht auf unabhängige Informationen zum Afghanistaneinsatz?). Sie bedeutet nicht, daß Informationen auch verbreitet werden (Warum werden Nachrichten immer in hysterischen Zuckungen durchs Netz gepumpt, um anschließend sofort wieder vergessen zu werden?). Sie bedeutet nicht, daß Informationen kontextualisiert werden (Eine der wirklich unangenehmen Eigen- schaften des Netzes – die Partikularisierung von Informations- brocken. Kommt auch der verminderten Aufmerksamkeitsspanne der Mauswürger entgegen.) Vor allem aber bedeutet die Möglichkeit der Informationsbeschaffung nicht, daß eine Veränderung des Denkens und Handelns erfolgt (Klar, kann man im bible belt antiklerikale Seiten lesen. Aber wenn man nicht vollkommen sozial isoliert sein möchte, klickt man die schnell wieder weg.)

All diese Überlegungen werden, vermutlich auch aus taktischen Gründen vor der Wahl, von Leuten wie mspr0 beiseite geschoben und die Piraten in ihrer ideologisierenden Selbstdarstellung bestätigt, sie wären eine Partei, die weder links noch rechts, sondern vorne sei. Daß die Piraten logischerweise politisch positioniert sind, kann man wahlweise bei f!xmbr oder Brechts Die Gewehre der Frau Carrar nachlesen. Oder man denkt selbst ein wenig nach. Denn machen wir uns nichts vor – die Piraten sind eine Bewegung weißer Mittelstands- kinder, die genau das reproduzieren werden, was man ihnen vorgelebt hat. Ein Aufstand junger Männer eben.

Disclaimer: Ich gehöre keiner etablierten Partei an und habe meine Zweitstimme den Piraten gegeben.

Update: Na, wer hätte das gedacht. Die Zeit Online hat einen Artikel veröffentlicht, der Die Piraten im Spektrum der Parteienkonstellation einordnet.

Update 2: Das seltsame Wertedreieck der Piraten, welches angeblich die Piraten als einzige humanistische Partei ausweist, lasse ich mal unkommentiert. Na gut, doch nicht. Eine Bemerkung muß ich doch dazu loswerden: It's the economy, stupid!

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