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  Critics cleines Blog - wie die amerikanische Axt im Waldi
Sonntag, 27. April 2008
Fernsehen ist, das weiß man spätestens seit Truffauts wundervollem Fahrenheit 451, eine ganz schön jämmerliche Zuschauerdressur. War es früher die Provinzialität und Beschränktheit des Angebotes auf zwei (DDR) oder drei (BRD) Programme, die Gefühle von Nichtanschlussfähigkeit an das aufregende Weltgeschehen, vulgo Langeweile, hervorriefen, so ist mittlerweile die Diversifikation der Fernsehkanäle das größere Problem geworden. Die Aufhebung der regionalen Grenzen hat nur zu einer Errichtung neuer, thematischer Demarkationslinien im Fernsehen geführt. Die Probleme des Senders Freies Berlin, täglich genügend Regionalnachrichten auf dem Ku-Damm zusammenzukratzen, bei denen wenigstens nicht den weggedösten Rentnern der Kopf vor Eintönigkeit oder grassierender Dummheit explodiert, trifft heutzutage weltweit anzutreffende Spartenkanäle wie "PetTV" oder "Engelsnachrichten". Das verwundert wenig, da sich auf dem Gebiet des metaphysischen Geschwurbels oder der genetischen Grundausstattung von Hunden in den letzten tausend Jahren nicht allzu Weltbewegendes ereignet hat, um 24/7 darüber berichten zu können.

Wer würde dieses satellitengestützte Elend besser kennen als deren Macher? Insofern ist Ángela alles andere als begeistert, daß sie mit ihrem Kameramann eine Nachtreportage aus einer Feuerwehrwache senden soll. Am frühen Abend wenigstens nur uninteressant, bricht mit der Dunkelheit die grenzenlose Fadheit herein. Ein Alarm kommt da wie gerufen, auch wenn die Feuerwehrleute versichern, daß es sich um die Befreiung einer hilfebedürftigen älteren Frau aus ihrer Wohnung handelt. Die Bewohner des Hauses haben sich gemeinsam mit der Polizei vor deren Tür versammelt, die auch fix aufgebrochen ist.

Wenn die verwirrte alte Vettel im Nachthemd sich in einen Polizisten verbeißt, dann weiß man schnell, welche Richtung [Rec] von Jaume Balagueró einschlagen wird. Diesen Kurs behält der Film auch dank nachvollziehbarer Handlungsentwicklungen bei und entfaltet rasant ein Gefühl von Beklemmung, das sich zu einem infernalischen Terrorangriff auf die Nerven der Zuschauer steigert. Lange schon gab es keinen Horrorfilm mehr, bei dem man so festgekrallt am Sesselrand klebte. Wobei am Schlimmsten ist, daß man die Instrumente der televisionären Inquisition kennt und doch nichts gegen deren affektive Wirkung tun kann.
Geschenkt ist deshalb auch der Hinweis auf fehlende Neuigkeit des Konzeptes. Blair Witch Project, 28 weeks later oder Cloverfield mögen konzeptionell verwandt sein, sind aber nicht vergleichbar in der somatischen Auswirkung. Gerade die fehlende Fluchtmöglichkeit macht das Geschehen zu einer Versuchsanordnung, bei der die Figuren wie in einem Rattenkäfig auf die maximale Ausschüttung von Streßhormonen hin untersucht werden sollen.
Wobei man nicht sicher sein kann, ob die Hormonbestimmung nicht eher bei den Zuschauern erfolgen soll. Die Imitation des Reportagestils ist bis auf einen unsinnigen, und deshalb besonders ärgerlichen, Rückspulfehler so verführerisch-trügerisch wie seinerzeit das Reality-TV-Konzept vom fabelhaften Series 7 – The contenders; ein Entziehen ist trotz innerer Ermahnung, es handele sich doch nur um einen Spielfilm, nahezu unmöglich. Die Instabilität der Kameraposition, ganz anders als die Künstlichkeit von Frame-Cutting & Shakycam, erschüttert die Sicherheit der Zuschauerposition, weil sie auf die Sehschule der Nachrichtensendungen zurückgreift. Wir haben gelernt, daß unsichere politische Verhältnisse ihr Entsprechung in einem unsicheren Kamerablick haben. Balagueró reaktiviert unser implizites Wissen für seinen filmischen Alptraum; nicht umsonst heißt die vermeintliche Reportagereihe "Während Du schliefst".

Am Ende werden wir Zuschauer mit dem wiederholt angesprochenen Thema, ob man das ganze Grauen denn dokumentieren müsse, aus dem Film entlassen. Aber was haben wir in den Händen? Nichts. Nichts als Bilder. Bilder, die wir nicht deuten können, sondern nur fühlen. Denn dies ist der eigentliche Topos von [Rec] - das Sehen und das Schauen und die Manipulierbarkeit des Zuschauers, die sich aus deren Unterschied ergibt. Eine Kamera mag Bilder aufnehmen können, die zu schnell für den Menschen sind oder im für das Auge nicht sichtbaren Wellenlängenbereich ihre Information enthalten. Aber die Bilder sehen, das Deuten, das Verstehen, das Schlussfolgern für unser Handeln, das kann die Kamera nicht. Im Gegenteil kann die Bildproduktionsmaschinerie eingesetzt werden, um die Verständlichkeit so weit zu verringern, daß dem Zuschauer kaum mehr als manipulierte Affektreaktion auf die Bilderflut bleibt. Mittendrin und nicht dabei. Wie gesagt – Fernsehen ist eine ganz schön armselige Angelegenheit.

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